Alfred Hoche
1865-1943
Wer war Alfred Hoche?
Alfred Hoche wurde am 1. August 1865 in unserem Ort Wildenhain in einer evangelischen Pfarrersfamilie geboren.
In seinem Buch „Jahresringe“ schrieb er über Wildenhain:
„Den äußeren Rahmen der ersten sechs Kindheitsjahre bildete die karge Umgebung eines kleinen Dörfchens, Wildenhain, dessen paar hundert Einwohner so arm waren, dass sie, wie es hieß, nur am Sonntag für ein paar Pfennig Heringslake zu ihren Pellkartoffeln kaufen konnten. Die Verbindung mit der Welt, die für uns durch das ferne, unvorstellbar große und wunderbare Torgau repräsentiert wurde, hielt eine alte Botenfrau aufrecht, die mit Briefen und Paketen die zwei Meilen hin und her trabte.“ ...
Das elterliche Haus, die Pfarre war ein unansehnlicher Bau, errichtet im Armutsstil der alten preußischen Sparsamkeit; die Fenster schlossen nicht; im Winter war es mit dem allein zur Verfügung stehenden Torf nicht zu erheizen. Einmal sah ich mit Entzücken, das größer war als das meiner Mutter, die zarten Fährten von Mäusepfoten, die sich auf der eben zufrierenden, aber schon tragenden Fläche der Milch erhalten hatten; ich habe später, wenn mir in geologischen Darstellungen die in Stein und Schiefer erstarrten Spuren der Tatzen der urweltlichen Geschöpfe vor Augen kamen, immer an jene paläographische Milchschüssel gedacht. ... Ein Zimmer war einigermaßen warm zu bekommen, und da wir viele Köpfe waren, wurden mit Kreidestrichen auf dem Fußboden die räumlichen Rechte der einzelnen abgegrenzt. ... Das Gehöft zeigte noch die Spuren der Amtsvorgängern geübten Landwirtschaft; in einer großen Scheune, an deren Flügeltor, zur Warnung, ein Hühnerhabicht angenagelt war, wurde von Nachbarn gedroschen; ihr Bild tauchte mir regelmäßig auf, wenn ich später in kleinen Ortschaften vor der Zeit der Dreschmaschinen den friedvollen Viertakt der Dreschflegel hörte; auch die Worfschaufel der Bibel, die Spreu und Weizen, Gerechte und Ungerechte sondert, wurde noch verwendet. An vierbeinigen Inventar muss eine Ziege dagewesen sein; ich sehe mich unter ihr am Boden liegen und ihre Milch an der natürlichen Bezugsquelle trinken; dann streicht noch ein strohfarbener, gutmütiger Pinscher durch meine Erinnerungen, der mir ein Träger überraschender Möglichkeiten wurde, als er an einem Sommertage eines schneeweißen, wunderlangen Bandwurms genas.
Die Hühner wurden regiert von einem cholerischen Hahn, der nackte Beine nicht mochte und bei den Dorfkindern unbeliebt war, weil er sie in die Waden hackte; meine Schwester trägt noch heute auf der Backe die Narbe von einem seiner Schnabelhiebe; als er schließlich wegen antisozialen Verhaltens sein Leben lassen musste, sprang dem Rumpf nach Abschlagen seines Kopfes noch im Hof herum. ...
Ein mit Gruseln gemischtes Interesse weckte auch ein Beil, im Nachbardorfe Mockrehna außen am Turmhelm unterhalb des Hahns eingehauen war; ein zur Hinrichtung Geführter hatte es hinaufgeschleudert und so sein Leben gerettet; ...
Gegen billige Schauer waren wir abgehärtet, weil der Kirchhof, in den unsere Fenster gingen, unser natürlicher Spielplatz war; er war eingehegt von einer zerbröckelnden Mauer, auf deren dicke Moospolster die Gräser im Winde nickten; die Mauer , über die Romulus – oder war es Remus – sprang, sah ich später immer in jener niedrigen Form vor mir. Hinter Grabsteinen lässt es sich ausgezeichnet Verstecke spielen. ...
Wir hatten einen Backofen alten Bauernstiles; es war ein steinerner Kuppelbau mit enger Türe, der so viel Fläche bot, dass ein halbes Dutzend Kuchenbleche gleichzeitig Platz fanden; im Herbst wurde er zum Dörren der blauen Pflaumen verwendet, von denen sich dann manche in den schwer zugänglich seitlichen Partien des Ofens verloren. ... Von dunklem Reiz war auch der Torfschuppen, in dessen Winkeln wir – gegen Prämien – die Stellen aufstöberten, an denen die Hühner, in berechtigten Interesse, das Gelege ihrer Eier zu verbergen suchten; in dem dieser Raum immer erfüllenden , ganz eigenartig riechenden Torfstaub schufen durch die Luke einfallenden Sonnenstrahlen leuchtende Balken, in denen die winzigen Staubkörner, vom Hauche bewegt, reizvolle Reigen tanzen; ...
Von Krankheiten aus jenen Jahren ist mir außer der Erinnerung an wilde Fieberträume und das unangenehme Gefühl von heißem Öl auf geleimter Watte beim Mumpsumschlag nichts haften geblieben, vom Keuchhusten, dessen Anfälle ich vergessen habe, als sympathisch die Behandlung mit Teeranstrich des Brustkastens; ...
Einen Torgauer Militärarzt begleitete ich auf seinen Dienstwegen von Hof zu Hof; die Cholera, die 1866 in Österreich grassierte, hatte auch nach Königreich und Provinz Sachsen übergegriffen; in der Pfarre starb der Hauslehrer; nun wurden nachträglich alle Brunnen untersucht und die verdächtigen geschlossen; die entscheidenden Feststellung bestand darin, dass man das Brunnenwasser mit übermangansauren Kali versetzte; blieb die Lösung rot, war alles gut; nahm sie eine blaue Farbe an, so wurde versiegelt; die Absicht jedenfalls war löblich. ...
In den letzten Abschnitt jener ersten sechs Jahre fiel der Krieg mit Frankreich; in Erinnerung geblieben ist mir, wie der Vater aus der Zeitung die Namen gefallener Offiziere vorlas, von denen er aus seiner Zeit als Kadettenlehrer und Garnissionsprediger eine große Anzahl persönlich kannte; ...
Im ganzen liegen jene Wildenhainer Jahre in meiner Erinnerung da als eine glückliche, sonnenbeschienene Zeit; nichts‚ Fremdes beeinträchtigt den lustvollen Prozess des Einziehens der bunten Welt in eine offene Kinderseele.“
Sein Vater Ernst August Rudolph Hoche (1819–1879) war von 1865 bis 1871 Pfarrer in Wildenhain. Über ihn schrieb Alfred Hoche: „Mein Vater war ein spät Nachgeborener, dessen Jugendzeugnisse auf große Begabung hinwiesen; er war ein stattlicher, dunkler Mann von ernstem Wesen, mit tragender Sprechstimme und etwas traurigen braunen Augen; viele Frauen haben für ihn geschwärmt; .. die väterliche Reihe der Vorfahren führt nicht zu dem französischen General Hoche, wenn auch von einer romantisch gestimmten Tante und auch sonst, halb spielend, ein Kultus mit dieser Idee getrieben wurde; so hing z.B. ein Stich seines Denkmals – man sieht es Neuwied gegenüber oben am linken Rheinufer – in meines Vaters Zimmer; ein juristischer Schwager hat den Mythos aktenmäßig zerstört; das Geschlecht lässt sich in Kirchenbüchern bis ins 16. Jahrhundert verfolgen: es waren Bauern an den Abhängen des Harzes, aus denen dann, in der von Gustav Freytag beschriebenen Weise, Vertreter geistiger Berufe erwuchsen.“
Vor seiner Amtszeit in Wildenhain, seit 1849 war der Vater Garnisionsprediger in Schneidnitz (Schweidnitz!) . Ab 1853 war er Divisionsprediger in Neiße und ab 1864 war er Pfarrer in Bretleben Ephorie Heldrungen.
Im Amtsblatt der Königlich Preußischen Regierung zu Merseburg (1865) ist auf Seite 150, Nr. 365 Folgendes vermerkt: „Die erledigte evangelische Pfarrstelle zu Wildenhain mit Mockrehna in der Diöces Torgau ist dem bisherigen Pfarrer in Bretleben, Diöces Heldrungen, Ernst Rudolph Hoche, verliehen worden“.
Auf Seite 177, Nr. 432 (Personal-Chronik) ist vermerkt: „Die unter königlichen Patronat stehende, mit einem jährlichen Einkommen von ca. 1.000 Thalern verbundenen Pfarrstelle zu Bretleben in der Diöces Heldrungen ist durch die Versetzung des Pfarrers Hoche vacant geworden. Die Parochie hat 1 Kirche, 1 Kapelle und 1 Schule mit zwei Klassen.“
Ebensolche Vermerke finden wir in den Amts-Blättern der Königlichen Regierung Magdeburg auf Seite 169 Nr. 428 und der Königlichen Regierung zu Erfurt Seite 188.
Von Wildenhain wurde er anschließend nach Egeln versetzt.
Über seine Tod schrieb Alfred Hoche: „Ich kenne ihn außerhalb der Unterrichtsstunde fast nur als zerstreut und gedrückt; äußere Gründe dafür, die ihm schweren Kummer zufügen, lagen jahrelang genügend vor; sie haben auch seinen Lebenswillen und seine Widerstandskraft untergraben, so dass er an sich nicht tödlichen Krankheit mit 58 Jahren erlag. .. ich war 12 Jahre, als ich aus dem Hause kam und 13 Jahre, als er starb; ich glaube, dass ich mich mit ihm, wenn er meine reifen Jahre erlebt hätte, gut verstanden haben würde.“
Alfred Hoches Mutter, Matthilde, Marie Auguste von Renouard war die zweite Ehefrau von Ernst Hoche. Sie war die Tochter des preußischen Generalmajors Maximilian von Renouard (geb. am 4. Januar 1797; gest. am 9. August 1883). Mathildes Ururgrossvater Franz von Renouard (1710–1796) war Generalschatzmeister der Reformierten in den preußischen Staaten. Er war ein preußischer Hofrat und war Direktor der französischen Kolonie in Potsdam.
Über seine Mutter schrieb er Folgendes: „Aus härterem Holz war meine Mutter geschnitzt. Der französische Stammbaum ihrer Familie, von Renouard, ist bis ins 15. Jahrhundert rückwärts belegt; die Familie lief in zwei Zweigen; der katholische, Renourd de Bussiére, existiert noch in Frankreich; bei Straßburg trug ein Landgut diesen Namen; ein Vertreter des protestantischen Zweiges, Josué Renourd de Viville, wanderte nach Aufhebung des Edikts von Nantes 1686 nach Deutschland aus und trat als Offizier in preußische Dienste; .. Meine Mutter hatte mehr als ihr Vater geerbt; sie war klug und klar, scharf und kritisch; die nüchterne, praktische Anlage hatte sich verstärkt in meinem Leben, in dem sie gefühlsmäßigen Impulsen widerstehen und immer das Notwendige vor dem Wünschenswerten stellen musste.“
Am 14.09.1865 wurde Alfred Hoche in Wildenhain getauft.
Von seinen Eltern schrieb er noch: „Der Wirkung nach, soweit es sich um die praktische Lebensführung handelte, war zu meinem Heile das mütterliche Erbe stärker; für das innerliche Erleben gab mir der Vater mehr.“
Alfred Hoche war Enkel des lutherischen Superintendenten und Historikers Johann Gottfried Hoche (geboren am 25. September 1762 in Gratzungen; gest. am 2. Mai 1836 in Gröningen). Seiner Ehefrau Louise Charlotte Hoche, geb. Berning starb am 12. März 1839.
Alfred Hoche war Neffe der Schriftstellerin und Revolutionärin Louise Aston. Louise Franziska Aston, geb. Hoche (geb. am 26. November 1814 in Gröningen; gest. am 21. Dezember 1871 in Wangen im Allgäu) war eine deutsche Schriftstellerin und Vorkämpferin für die demokratische Revolution und Frauenbewegung.
Über sie schrieb Alfred Hoche: „die eine, zuerst an einen Engländer Aston verheiratet, war nach dem Urteil von Zeitgenossen eine bezaubernde und geistreiche Frau; sie wurde 1848 wegen zu freier Haltung ihrer Schriften aus Preußen und, der Reihe nach, aus anderen Staaten ausgewiesen, um schließlich in zweiter Ehe als Frau des Physikus in Bremen zu landen – zu stranden vermutlich nach ihrem Gefühl;“
Alfred Hoche hatte noch eine Schwester und Halbgeschwister aus der ersten Ehe seines Vaters, die auch in der Pfarre lebten.
Eulalie Merx, geb. Hoche (geb. am 7. November 1811 in Gröningen; gest. am 9. Mai 1908 in Heidelberg), eine weitere ältere Schwester seines Vaters Ernst August Rudolph Hoche. Sie war auch eine deutsche Schriftstellerin.
Über sie schrieb er: „die andere Eulalie Merx – schrieb bis ins hohe Alter, sie wurde 97 Jahre, Romane, die viel gelesen wurden.“
Über Eulalie Merx war Alfred Hoche weitläufig verwandt mit Ernst Ruska (geb. 25. Dezember 1906 in Heidelberg; gest. am 27. Mai 1988 in Berlin). Er erhielt 1986 den Nobelpreis für Physik.
Alfred Hoche war verheiratet mit Hedwig Goldschmidt (geb. am 13.04.1875, gest. 1937). Sie war die Tochter von Prof. Dr. Siegfried Goldschmidt (geb. am 29. Oktober 1844, gest. am 31. Januar 1884). Mutter war Minna Hertz, geb. 18. September 1817, Braunschweig, Niedersachsen und gest. 15. März 1886 in Kassel, Hessen.
Das Ehepaar Alfred und Hedwig Hoche hatte einen Sohn, Ernst Hoche (Geboren am 19. März 1896, gestorben am 05. November 1914), der im Ersten Weltkrieg als kriegsfreiwilliger Primaner in Nordfrankreich fiel.
Lt. Verlustliste 1. Weltkrieg, Seite 15632 wurde er in Wasserjentsch (Breslau) leicht verwundet.
Lt. Verlustliste 1. Weltkrieg, Seite 3301, Ausgabe 249 vom 04.12.1914, Liste Preußen 93 ist Folgendes vermerkt: Freiwilliger Ernst Hoche- Straßburg im Elsaß vermisst (Infanterieregiment Nr. 113, Freiburg in Baden, 1. Batallion, 1. Kompagnie).
In einer Ergänzung der Verlustliste 1. Weltkrieg, Seite 4534, Ausgabe 343 vom 27.1.1915 ist unter Infanterie- Regiment 113, Auchy am 10., 11., 12., 13., 24 und 25.11 und Gefecht am 30.12. Folgendes vermerkt: Kriegsfreiwilliger Ernst Hoche, 3. Kompagnie, Straßburg, bisher vermisst, gefallen.
Alfred Hoche wurde mit acht Jahren aus der Volksschule in Egeln genommen. Sein Vater bereitete ihn zusammen mit einem gleichaltrigen Pensionär auf das Gymnasium vor. Dazu schrieb er: „… die Personalunion von Lehrer und Vater habe ich in schmerzlicher Weise als ein unglückliches Verhältnis erlebt. Der Vater war ein ausgezeichneter Philologe mit glänzender Lehrerbegabung, für mich erfüllt von brennendem Ehrgeiz; aber leider war er Choleriker, abhängig von seiner Stimmung, und wenn diese schlecht war, von unbegrenzter Heftigkeit. Anerkennung gab es eigentlich nie;“
Im Alter von zwölf Jahren trat er mit einem Stipendium in die Untersekunda der Klosterschule Roßleben ein, damals eine staatlich beaufsichtigte Stiftung der Familie von Witzleben, aus der eine Urgroßmutter von Hoche stammte.
Über die Klosterschule schriebe Hoche: „Roßleben ist eine Stiftung der Familie von Witzleben, und da die Mutter meines Großvaters diesem Geschlecht entstammte, baute ihr Segen dem Knaben ein Haus – im Gegensatz zu der Rolle, die heute die Großmütter spielen.“
Studium und Karriere
Nach dem Abitur entschied sich Hoche für ein Studium der Medizin.
Zu diesem Schritt schrieb er Folgendes: „In einer normalen Autobiographie müsste ich an dieser Stelle zum wenigsten sagen, dass ich bei meinem Eintritt in die Berliner Universitätsjahre die Absicht gehabt hätte, Universitätsprofessor und Psychiater zu werden, und dass ich all meine Schritte auf die Erreichung dieses Zieles eingerichtet hätte; es wäre glatt gelogen. Ich habe, als ich das Studium der Medizin begann, keine Ahnung gehabt, was ich eigentlich wollte; den Verlauf des Weges habe ich weder als Phantasiebild noch in Wunschform vor mir gesehen; ... Ich schrieb mir nach meinen Gelüsten die Vorlesungen auf, die ich für reizvoll hielt, z.B. Chirurgie, bis dann der Arzt meiner Mutter einen nüchternen Plan aufstellte, der bestimmend wurde.“
Ab dem Wintersemester 1882/83 studierte er zunächst in Berlin, wo er Vorlesungen u.a. bei dem Mediziner und Physiologen Emil Heinrich Du Bois-Reymond besuchte.
Über ihn schrieb Hoche: „Seine Experimente, die auf das peinlichste vorbereitet waren, zelebrierte er, wie ein Priester am Altar die Messe, mit gehaltenen, würdevollen Bewegungen.“
Weitere Vorlesungen besuchte bei dem Physiologen und Physiker Hermann von Helmholtz. Dort absolvierte er das Physikum. Über ihn berichtete er: „... Helmholtz vermochte uns nicht in gleichem Maße mitzureißen; von seiner Jahrtausend-Bedeutung hatten wir als erste Semester natürlich keine Ahnung; für uns war er ein trockener Dozent, der selbst ersichtlich wenig Freude an seiner Tätigkeit hatte; er hatte mit seinem Gesichtsausdruck etwas Bedrückendes.“
Zu seinen ersten Semestern schrieb er: „Es wird mir, da ich diese Dinge aneinanderreihe, in erschreckenden Maße klar, in wie unverantwortlicher Weise ich diese ersten vier Semester verludert habe; außer der Vorlesung von du Bois und einem Semester bei Waldeyer habe ich nichts ernstlich betrieben; „
Danach ging Alfred Hoche nach Heidelberg. Dort nahm ihn sein älterer Vetter Adalbert Merx, Sohn der erwähnten Eulalie Merx unter seine Fittiche.
Hier begann sein eigentliches Studium, wie er schrieb und wohnt bei seinem Vetter Adalbert Merx. Über diesen schrieb er: „Merx war ein Mann von ungewöhnlich breiten Wissen, dessen Besitz er gerne auch einmal schillern ließ, ein kluger, ein Kant geschulter, kritischer Kopf von mitleidloser Schärfe, wenn es der Wahrheit galt; er ließ mir kein vorschnelles Urteil , keine logische Verschwommenheit, keine Unklarheit durch; in manchmal sokratischer Manier brachte er mir im täglichen Verkehr die allgemeinen Denkprobleme des Menschengeschlechtes nahe und förderte mich um so mehr, als es das Hören philosophischer Vorlesungen vermocht hätte. Ich habe ihn zeitweise gehasst, ...“
Hoche arbeitete bei dem Anatomen Carl Gegenbaur (geb. 21. August 1826 in Würzburg; gest. 14. Juni 1903 in Heidelberg). Über ihn schrieb er: ... „er wurde gefürchtet wegen seiner durchdringenden Gradheit, aber er war ein schlichter, gerechter Mann.“
Weiterhin arbeitete er bei dem Pathologen Julius Arnold (geb. 19. August 1835 in Zürich; gest. 2. Februar 1915 in Heidelberg). Hier vermerkte er: „Eine ungemein feine, liebenswürdige Persönlichkeit war der Pathologe Julius Arnold; die Rolle des sezierenden Anatomen, die ihn zum Richter über die diagnostischen Talente der Kliniker macht, verführt ihn nicht zu den manche seiner Kollegen in gleicher Lage zierenden Bissigkeiten; ...“
Auch bei dem Neurologen Wilhelm Heinrich Erb (geb. 30. November 1840 in Winnweiler in der Pfalz; gest. 29. Oktober 1921 in Heidelberg) arbeitete er. Zu ihm gibt es folgende Anmerkungen: „So war er ein ausgezeichneter Lehrer, den Praktikanten gegenüber erregbar, aufbrausend und derb in Pfälzer Manier, zornig namentlich wenn ein Student, wie das auf dieser Entwicklungsstufe leicht geschieht, vergaß, dass er nicht nur „Krankenmaterial“ sondern Menschen vor sich hatte.“
Nach vier Semestern schob Hoche ein neues Berlin-Semester ein, um bei Karl Schroeder (geb. 11. September 1838 in Neustrelitz; gest. 7. Februar 1887 in Berlin; vollständiger Name: Karl Ludwig Ernst Friedrich Schroeder) zu studieren und Gynäkologe zu werden. „Schröder war unter allen akademischen Lehrern, die ich kenne, die am meisten imponierende Persönlichkeit, nicht durch blendende Formulierungen oder schwungvolle Betrachtungen, sondern einfach durch sein Wesen, durch das einzigartige Nebeneinander von funkelnder Jugendfrische und gelassener Hoheit; ..“ schrieb er über ihn.
Nach dem überraschend frühen Tod Schroeders mit 46 Jahren kehrte Hoche nach Heidelberg zurück.
Nach dem 1888 bestandenen Staatsexamen und der Promotion trat er dort eine Assistentenstelle bei Theodor von Dusch (geb. 17. September 1824 in Karlsruhe; gest. 13. Januar 1890 in Heidelberg) in der Luisenheilanstalt, der Universitäts-Kinderklinik und Medizinischen Poliklinik, an.
Um Weihnachten 1889 erreichte die große Influenza-Welle die Stadt Heidelberg. Von Dusch starb 1890 an einer Influenza-Pneumonie. Zu seinem Tod vermerkte er: „Der Alte starb sehr anständig, als gelassener Philosoph; am Tage vor seinem Ende versammelte er alle Assistenten an seinem Bette und gab, wie in der Vorlesung, eine Epikrise seines Zustandes mit der zeitlich richtigen Voraussage seines Todes.“
Nach dem Tod seines Mentors bot ihm der Neurologe und Psychiater Carl Fürstner (auch Karl Fürstner; geb. 7. Juni 1848 in Straßburg, Uckermark; gest. 25. April 1906 in Straßburg) eine Assistentenstelle an der Heidelberger Irrenanstalt an. Diese nahm er nicht aus besonderer Passion für das Irrenwesen an, sondern weil es sich gerade so fügte. „Das Laboratorium war ein kleines, einfenstriges Zimmer; der Hörsaal war das Kasino der Kranken, in dem die Hörer um ein Billard herum saßen. Die Klinik hatte 2, in der letzten Zeit 3 Assistenten. Es gab kein Examen in Psychiatrie, so dass keineswegs alle Studierenden die psychiatrische Klinik besuchten, ein Umstand, der durch Fürstners persönliche Anziehungskraft ausgeglichen wurde; immerhin hing die Stimmung unseres damaligen Chefs sehr von der Frequenz seiner Vorlesungen ab, und der damalige Oberarzt setzte im Scherz 50 Pfennige für jeden Hörer aus, der über die zu erwartende Mittelzahl hinaus erschien.“ (–Archiv für Psychiatrie 87 (1929), S. 25)
Hoche selbst sah sich aber eher noch als Schüler Wilhelm Erbs. Damit begann der mehr als vier Jahrzehnte umfassende Weg Alfred Hoches im Bereich der Psychiatrie. Mit Fürstner ging Hoche 1890 an die Kaiser-Wilhelm-Universität nach Straßburg, wo er am 1. April 1891 habilitiert wurde und ab 1899 als außerordentlicher Professor wirkte.
Seine Zeit in Straßburg und dessen Lehren untersuchte 1997 Frau Ruth Priscilla Kirstein (geb. in Ithaca/New York) deren Stammbaum mütterlicherseits mit der Ehefrau Hoches verbunden ist (Seite 2), in der Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau.
Am 1. Oktober 1902 wurde Hoche zum Direktor der neu eingerichteten psychiatrischen Klinik und Ordinarius für Psychiatrie an die Universität Freiburg berufen. In Straßburg lernte Hoche seine Frau kennen, die Jüdin war. Im Mai 1933 wurde Hoche im Alter von 68 Jahren emeritiert; 1935 zog er nach Baden-Baden.
Politische Aktivitäten
Politisch war er stets national und konservativ eingestellt. Er war aktives Mitglied der Deutschen Vaterlandspartei und in Baden ihr Vorsitzender. Auf der ersten öffentlichen Sitzung in Heidelberg, am 21. Oktober 1917, hielt Hoche den Hauptvortrag „über die Aufgaben und Ziele der Vaterlandspartei“.
Ruhestand und Tod
Vorzeitiger Ruhestand
Hoche wurde im Mai 1933 – angesichts der Ehe mit einer Jüdin – in den Ruhestand versetzt. Seine 1934 erschienene Autobiographie Jahresringe. Innenansicht eines Menschenlebens enthält Impressionen aus seiner Laufbahn, einige Fallberichte und Erörterungen zu ärztlichen Standpunkten.
In seinem Ruhestand schrieb Hoche nur noch belletristische Bücher. Angeblich hatte er sich von allen psychiatrischen Fachbüchern getrennt. 1934 publizierte er in München seine Memoiren unter dem Titel „Jahresringe. Innenansichten eines Menschen.“ Seine Frau verstarb 1937.
Am Abend des 13. Mai 1943 besuchte Hoche im Kreis von Freunden ein Schubert-Konzert in Baden-Baden, ging aber vorzeitig nach Hause, weil er sich nicht wohl fühlte. Am nächsten Morgen fand ihn seine Hausdame bewusstlos in seinem Bett.
Er starb am 16. Mai 1943, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. In Nachrufen wurde als Todesursache ein Schlaganfall genannt. Jedoch gibt es Hinweise, dass sich Hoche, der einstmals den Begriff Bilanzselbstmord geprägt hatte, sich selbst durch Vergiftung das Leben nahm. So soll es einen Brief an die Hinterbliebenen gegeben haben, der die Selbsttötung bestätigte. Auch manche Nachrufe sind ambivalent formuliert. So hebt Max Nonne hervor, man habe Hoche tot im Bett gefunden, „keine Spur von gewollter Einwirkung.“
Wirken
Wissenschaftliche Positionen
Hoche arbeitete vor allem zur Anatomie, pathologischen Anatomie und Pathologie des Gehirns. Wichtig waren seine Arbeiten „Zur Lehre von der Tuberkulose des Zentralnervensystems“ (1888) und „Über Verlauf und Endigungsweise der Fasern des ovalen Hinterstrangfeldes im Lendenmark“ (1896), das seither als „Hochesches Bündel“ bekannt ist.
Psychiatrische Arbeiten hingegen hat Hoche kaum vorgelegt. Die Psychiatrie hatte ihm nie viel bedeutet. Allerdings profilierte er sich als Kritiker der psychiatrischen Formenlehre Emil Kraepelins.
Zugleich trat Hoche, der für seine sarkastische Rhetorik bekannt war, als Kritiker der damals neuen Lehre der Psychoanalyse Sigmund Freuds auf, die er als „morbide Doktrin“ und „Heilslehre für Dekadente, für Schwächlinge aller Arten“ abtat. Freud nannte Hoche umgekehrt einen „bösen Geist“. Außerdem beschäftigte sich Hoche mit der forensischen Psychiatrie, insbesondere mit der Stellung des Gutachters. Für seine Verdienste um die Zusammenarbeit von Juristen und Psychiatern verlieh ihm die juristische Fakultät der Universität Freiburg die Ehrendoktorwürde.
Nach seiner Emeritierung veröffentlichte Hoche ausschließlich Belletristisches, darunter die sehr erfolgreichen Erinnerungen Jahresringe. Bereits 1920 hatte er unter dem Pseudonym „Alfred Erich“ einen Zyklus von Sonetten unter dem Titel „Deutsche Nacht“ veröffentlicht.
Hoche bildete keine Schule, wozu ihm nach eigenem Eingeständnis die notwendigen Voraussetzungen fehlten: „Der Skeptiker kann Schüler haben, aber macht keine Schule.“
Oswald Bumke stellte jedoch fest, dass „die Entwicklung der Psychiatrie in den letzten 40 Jahren ohne Hoches kritisches Eingreifen so doch vielleicht nicht möglich gewesen“ sei. „Aber auch wenn er die Syndromenlehre nicht aufgestellt hätte, würde sich sein Name aus der Wissenschaft nicht fortdenken lassen. Er hat sich gelegentlich als die Bremse bezeichnet, die für die Sicherheit eines Fahrzeuges ja auch erforderlich sei...“ Zu seinen bekanntesten Schülern zählten Oswald Bumke.
Walther Spielmeyer und, wenngleich weniger als Psychiater, Alfred Döblin. In einem Nachruf schrieb Kurt Beringer, sein Nachfolger als Leiter der Universitätsnervenklinik Freiburg, „mit grundlegenden Entdeckungen oder Fortschritten seines Faches sei sein Name nicht verknüpft.“
Tätigkeit als Mediziner
In den ersten Dekaden seiner medizinischen Tätigkeit widmete Hoche sich der Erforschung von Hirnpathologien und wurde durch seine Entdeckungen zu Rückenmarksfasern bekannt.
Rechtfertigung von Patiententötungen
„Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“
Mit dem Namen Hoches wird inzwischen vor allem die Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“ (1. Auflage 1920) verknüpft, die er gemeinsam mit dem Strafrechtswissenschaftler Karl Binding verfasste. Während Binding die juristischen Fragen abhandelte, machte Hoche auf 17 Seiten „ärztliche Bemerkungen“, warum Ärzte zur Euthanasie berechtigt seien. Er plädierte für eine „Tötungsfreigabe“ unheilbar Kranker mit deren Willen und – wenn sie diesen nicht mehr äußern können – auch unter sehr engen Voraussetzungen ohne deren Willen, aber niemals gegen ihren Willen. Dabei entwickelte er nicht zuletzt ein volkswirtschaftliches Argument, dass die „geistig Toten“ eine unzumutbare wirtschaftliche und moralische Belastung bedeuteten.
Alfred Hoche: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“
Damit griff Hoche vor dem Hintergrund einer von Degenerationslehre und Sozialdarwinismus geprägten Psychiatrie und im Zusammenhang mit der Rassenhygiene einerseits Überlegungen auf, die bereits Adolf Jost in seiner Schrift „Das Recht auf den Tod“ (1895) entwickelt und die vor allem vom Deutschen Monistenbund um Ernst Haeckel diskutiert wurden. Andererseits argumentierte er im Kontext nicht nur der Krisenstimmung nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, sondern auch der Erfahrungen einer Anstaltspsychiatrie, die angesichts der Lebensmittelknappheit während des Krieges und auch danach das „Hungersterben“ ihrer Patienten in Kauf nahm.
Das Werk stimulierte und prägte die Euthanasie-Debatte in der Weimarer Republik. Die Leser setzten die Argumentation ohne weiteres in Bezug zu den Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Der Anstaltsleiter Johannes Bresler etwa meinte: "Es ist schwer zu entscheiden, ob dieser Traktat ein Katalog künftig anzuwendender Leitlinien oder aber lediglich eine quälende und vage Rechtfertigung bereits stattgefundener Ereignisse darstellt."
Während von juristischer Seite die Vorschläge zur Sterbehilfe überwiegend zustimmend, die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ indes zurückhaltend aufgenommen wurde, stieß der Vorstoß unter der Ärzteschaft auf überwiegende – eine Ausnahme war etwa der Zwickauer Medizinalrat Gustav Boeters – und zum Teil entschiedene Ablehnung. Der Deutsche Ärztetag lehnte 1921 einen entsprechenden Antrag zur „gesetzlichen Freigabe“ der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ einstimmig gegen die Stimme des Antragstellers ab. Der Psychiater Eugen Wauschkuhn fragte 1922 polemisch: „Vielleicht ist es erlaubt zu fragen, wie lange unsere Menschheitsbeglücker ihre Hinrichtungen mit ärztlichem Henker nur auf Geisteskranke beschränken werden? Wann werden sie entdecken, dass Kriegsbeschädigte, Arbeitsinvaliden, Blinde, Taubstumme, Tuberkulöse und Krebskranke nicht produktiv genug sind?“
Am eingehendsten setzte sich Ewald Meltzer mit Bindings und Hoches Thesen auseinander. Er hielt die Tötung Schwerkranker auf Verlangen „für eine Pflicht gesetzlichen Mitleids“, lehnte aber die Tötung schwerverletzter Bewusstloser und „unheilbar Blödsinniger“ ab. Bemerkenswert war an Meltzers Arbeit aber auch, dass er eine Umfrage unter den Eltern und Vormündern von in seiner Anstalt untergebrachten, unheilbar „schwachsinnigen“ Kinder durchführte, bei der 73 % der 162 Antworten die Bereitschaft bekundeten, einer „schmerzlosen Abkürzung des Lebens Ihres Kindes“ zuzustimmen. Eine weitere Umfrage Meltzers unter evangelischen Theologen ergab ein widersprüchliches Bild. Allein der Landesbischof von Sachsen, Ludwig Ihmels, sprach sich entschieden gegen die „Euthanasie“ aus. Die katholische Kirche lehnte die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ einhellig ab.
Langfristig wirkte jedoch die Verwendung des Begriffs „Euthanasie“ für die aktive Tötung eines Kranken auch ohne seine Einwilligung. Gerade Hoche hatte semantisch Formulierungen des Nationalsozialismus vorweggenommen. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde propagandistisch besonders der ökonomische Aspekt rassenhygienischer Postulate betont, ohne freilich explizit von „Euthanasie“ zu sprechen. Meltzers Umfrage sollte in einem geplanten Film unter dem Titel „Dasein ohne Leben“ dazu dienen, die Morde an über 100.000 Menschen im Rahmen der Aktion T4 zu legitimieren. Es ist überliefert, dass Hoche im Sommer 1940 in einem Gespräch mit Viktor Mathes, dem Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen, die praktizierte Euthanasie im Nationalsozialismus scharf kritisierte.
Hoche schilderte dort im Zusammenhang mit seiner, wie er formulierte, „viel umschrienen Schrift" von 1920 den Fall eines aus unbekannten Gründen akut schwer hirnkranken neunjährigen Mädchens aus seiner Heidelberger Zeit. Ihr Tod sei nur noch eine Frage von Stunden gewesen, der Vater habe die Entlassung gefordert, doch Hoche (1934, S. 290) habe „während die Saalschwester beim Essen war ... mit einer gefüllten Spritze in der Hand" die vorzeitige Tötung des Kindes mit Morphium erwogen, um sie sezieren zu können, sah aber letztlich davon ab. Er folgerte: „... ich lehne den Standpunkt ab, dass der Arzt die bedingungslose Pflicht hat, Leben zu verlängern; ich bin überzeugt, dass sich, allen selbstsicheren Inhabern der Moral zum Trotz, die höhere Auffassung durchsetzen wird: es gibt Umstände, unter denen für den Arzt das Töten kein Verbrechen bedeutet."
Zudem verfasste Hoche (1934, S. 242) in der Autobiographie einen kurzen, anonymisierten Bericht über ein im März 1921 stattgefundenes Konsilium mit Eugen Bleuler und Ludwig Binswanger zu dessen Patientin Ellen West samt Anmerkungen zu ihrem Suizid.
Fazit
In „Die Schreibtischtäter (Badische Zeitung 26.12.2013), „Vernichtung lebensunwerten Lebens" – vor 70 Jahren begannen die Euthanasie-Morde. Die Idee lieferten zwei renommierte Freiburger Professoren / Von Stephan Kuß „kommt man zu folgendem Schluss: „Niemandes Lebenswillen solle gebrochen werden. Auch dürfe nicht gegen den Willen der Angehörigen vorgegangen werden. Reichen diese „technischen Sicherungen“, um Hoches Gewissen zu beruhigen? Gibt es überhaupt Zweifel? Hoche ist nicht religiös. Er kennt keine ärztliche Sittenlehre, keine moralische Dienstanweisung. Das Einzige, was einen Hinweis geben könnte auf Zaudern oder Unsicherheit, ist Hoches Ausdrucksweise. Sein Stil ist hölzern. Ausgerechnet er, der brillante Stilist, flüchtet zu einem schäbigen Bürokratenjargon. Das Wort „Mensch“ meidet er nach Möglichkeit. Einmal nennt Hoche die Behinderten, die er zur Tötung freigeben möchte, „Lebensträger“.
Die Nazis halten sich an keine „Sicherung“. 1940, zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung der „Freigabeschrift“, fällt eine Verwandte aus Hoches Familie dem „Euthanasie“-Programm zum Opfer. Hoche erhält die Asche nach Baden-Baden zugeschickt. Er ist entsetzt. Kurz darauf trifft er Dr. Viktor Matthes, den Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen, in der Straßenbahn. Hoche fragt den ehemaligen Kollegen, was dieser gegen die Abtransporte aus seiner Anstalt unternehme. Matthes versichert, nach bestem Können Sabotage zu treiben. Jetzt ist Hoche damit einverstanden. Drei Jahre später, im Mai 1943, nimmt er sich das Leben.“
Trotz vieler guter Ansätze und Forschungen in seinem Leben, welche nicht unerwähnt bleiben sollten, trug aber seine Position die er in der Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ vertrat zur Radikalisierung der Diskussionen zur Eugenik in der Weimarer Republik bei. Sie bleibt ethisch hochproblematisch.
Robert Schübel
2020
Quellen (ohne Kennzeichnung im Text)
- http://altneu.han-solo.net/osfia/tng_wordpress//getperson.php?personID=I20158&tree=Hohenems
- http://des.genealogy.net/eingabe-verlustlisten/search
- Schulchronik Wildenhain
- Wikipedia
- http://www.gedenkort-t4.eu/de-ls/vergangenheit/aktion-t4
- (http://www.regensburg-digital.de/und-der-arzt-wird-der-gefahrlichste-mensch-im-staate/26112012/)
- Alfred E. Hoche „Jahresringe“ (München 1935)
- „Der Einzelne und seine Zeit“ (Rede gehaltenbei der Jahresfeier der Freiburger Wissenschaftlichen Gesellschaft am 30. Okt. 1915 von Prof. Dr. A. Hoche); Freiburg i. B. und Leipzig 1915
- „Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau“ von Frau Ruth Priscilla Kirstein